Kreative Explosion im Kopf

Kreativ war ich schon immer. Im Denken. Kreativ im Denken. Meine Jobs haben es mir immer ermöglicht diese zu einzubringen – Ideen entwickeln und umsetzen. Dafür war ich, wo auch immer, bekannt, geliebt, gefürchtet.

Brennen für eine Sache und verbrennen. Nicht mit 80 % wie es angesagt wäre, sondern mit 1050 %. Auch das ist Teil meiner „ursprünglichen“ Persönlichkeit. Innere Unruhe und Ungeduld.

Dann ausgebrannt im Job und die Diagnose.

Nach einigen Monaten tritt ein Phänomen zutage, das ich nicht kenne. Ich mag nicht mehr ins Bett gehen und beginne in der Nacht zu backen. Oder Cremen selber zu machen. Produziere dies und das selbst. Eigentlich war ich mein Leben lang, sogar als Studentin, Frühaufsteherin und Früh-ins-Bett-Geherin.

Frühjahr 2020: Ich entdecke die Fotografie für mich. Ich mache fotografische Rätselbilder. Zuerst mit der Handykamera für Familie und enge FreundInnen. Dann die Idee ein Buch zu machen. Ich organisiere mir eine uralte Spiegelreflexkamera, baue Installationen und fotografiere was das Zeug hält, lerne mit Fotobearbeitungsprogramm und Grafikprogramm umzugehen. Nächtliche Arbeit am Computer löst nächtliches Backen ab.

Herbst 2020: Mein erstes Buch erscheint im Eigenverlag. Gerade ein halbes Jahr nach meinem ersten Foto mit dem Handy.

Ich entdecke die Fotografie von Blumen aller Art, am liebsten Blumen, die in einem Bild alle „Lebensphasen“ zeigen. Knospe, Blüte, Verblühtes.

Idee nach Idee formiert sich in meinem Kopf. Ein zweiter Band mit Rätselbildern. Fast fertig gestellt. Ein Buch mit Fotos für Menschen mit Demenz. Mitten in der Arbeit daran. Ein Buch mit meinen Blumenfotos kombiniert mit Gesprächen mit Menschen aller Altersgruppen zum Thema Alter und Altern. Und kurz darauf beginne ich mit den Interviews. Das Buch ist zur Hälfte fertig und ich arbeite nun an der Idee die Veröffentlichung über Crowdfunding zu finanzieren. Ich mache ungewöhnliche Fotos von unserem Dorf. Idee für ein Buchprojekt. Ich bin dabei Rauchen aufzuhören. Ein (nicht zur Veröffentlichung gedachtes) Buchprojekt.

In meinem Kopf entsteht eine Idee nach der anderen. Und ich entwickle eine Sucht zu fotografieren. Alltägliches bleibt liegen. Es bleibt immer mehr liegen.

Das war tendenziell immer schon so. Neues interessiert mich mehr als Routine. Jetzt aber ist die Schieflage sehr groß geworden.

Am liebsten würde ich 24 Stunden am Tag meine Ideen umsetzen. Die Beziehung zu meinem Mann leidet darunter, an den Kindern geht meine Getriebenheit auch nicht spurlos vorbei.

Mein Neurologe sagt zu meinem Buch – das sich an sich sehr gut verkauft und sehr positives Feedback erhält: typische Parkinsongetriebenheit. Und er sagt: Ich muss jetzt meinem Alltag Struktur geben. Ganz bewusst. Früh ins Bett gehen, mir Arbeitszeiten geben. Denn die Getriebenheit wird nicht weniger werden. Es wird später nur noch schwieriger mich zu begrenzen. Ja, mache ich.

Nein, mache ich nicht. Fotografieren ist immer und überall. Vor einem Jahr bin ich noch laufen gegangen, bin ich mit Smoveys gegangen. Jetzt ist immer die Kamera dabei.

Ein Bekannter, ebenfalls an Parkinson erkrankt, sagt zu meinen Buchprojekten: Du reihst dich also unter die Reihe der an Parkinson Erkrankten ein, die ein Buch schreiben.

Ein Gespräch mit meinem älteren Sohn macht mir deutlich, dass diese Unruhe, dieses viele Dinge angehen Wollen, das Chaos innen und außen, meinen Kindern zu schaffen macht. Sie auch dieses Chaos verspüren.

Ich halte inne, beginne bewusst zu bemerken, wie viel ich in den Alltagsdingen vergesse, zu spät mache. Wie gehetzt ich bin. Ich versuche immer wieder etwas daran zu ändern. Nach dreimal früh schlafen gehen, sitze ich plötzlich wieder eine, zwei, drei Wochen bis weit in der Früh am Computer. Die Zeit vergeht so schnell. Und die Ideen werden immer mehr.

Und dann, gerade jetzt, wo ich mich so intensiv mit dem Thema beschäftige, stoße ich auf eine Studie, die gerade im Laufen ist.

Das kreative Aufblühen von Personen mit Morbus Parkinson. Eine epidemiologische Studie zur Untersuchung der Kreativität in Personen mit Parkinson.

https://parkinson-noe.at/einladung-zu-einer-epidemiologischen-studie-zur-untersuchung-der-kreativitaet-in-personen-mit-morbus-parkinson/

Über die Qualität der Studie kann ich nichts sagen. Das Wording ist zum Teil jedenfalls nicht sensibel gewählt, wenn nicht sogar unpassend („gesundes und krankes Gehirn“).

Jedenfalls bekommt die Auseinandersetzung mit meiner explodierenden Kreativität eine neue Facette.

Wenn es so wäre, dass Parkinson diese Kreativität verstärkt… Ist diese deswegen weniger „wert“?

Neben all den herausfordernden „Nebenwirkungen“ genieße ich diese neue Form der bildhaften Kreativität. Und ich finde es wichtig adäquate Formen zu finden, damit nach außen zu gehen. Eine Balance zu finden zwischen nur für mich alleine dahinwerkeln und am anderen Ende der Skala andere ständig mit meinen Werken zu „beglücken“.

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